Die Zukunft liegt in den intelligenten Kombinationen

Prof. Dr. Norbert Kraut, Global Head of Cancer Research, Boehringer Ingelheim

Intelligente Therapie-Kombinationen werden im Kampf gegen den Krebs immer wichtiger. Denn trotz bedeutender Fortschritte in der Forschung profitieren derzeit nur 10 bis 15 Prozent aller Krebspatienten von einer medikamentösen Therapie, die Tumore basierend auf den genetischen Abweichungen, die für Tumorwachstum und Proliferation verantwortlich sind, angreift.

Wir fahren in unserer Arbeit zweigleisig. Zum einen suchen wir nach den Regelmechanismen, von denen das Wachstum und die Vermehrung der Krebszellen abhängig sind, und blockieren einen oder besser gleich mehrere dieser Mechanismen. Damit können wir den Tumor zwar rasch schrumpfen lassen, allerdings hält die Wirkung oft nicht lange an. Es können Mutationen auftreten, durch die der Tumor resistent gegen die Therapie wird oder die Krebszellen weichen auf alternative Regelmechanismen aus. Zum anderen forschen wir im Bereich der Immuntherapien. Es dauert zwar häufig länger, bis diese anfangen zu wirken, jedoch sind die von ihr angestoßenen Reaktionen deutlich nachhaltiger. Ziel unserer Wissenschaftler ist es ausfindig zu machen, wo die Krebszelle ihre größten Schwachstellen hat. Diese greifen wir dann mit intelligenten Kombinationen beider Verfahren an, um die Anti-Krebs-Wirkung zu verstärken bzw. zu verlängern.

Kalte Tumore heiß machen

Teil unserer intelligenten Kombinationsstrategie ist es zu erforschen, wie „kalte Tumore“ (immunologisch inaktive Tumore) in „heiße Tumore“ (immunologisch reaktive Tumore) umgewandelt werden können. Mit diesem „Kunstgriff“ ist die Immuntherapie auch bei solchen Krebsarten einsetzbar, die wir zuvor nicht mit Immuntherapien behandeln konnten. Durch die Kombination beider Ansätze erhalten Patienten den unmittelbaren Nutzen und die hohe Ansprechrate der auf die Krebszellen gerichteten Therapie mit dem längerfristigen Überlebensvorteil der Immuntherapie.  

Das Herz des Krebses bekämpfen

Wir konzentrieren uns in unserer Forschung auf zentrale Treiber der häufigsten Krebsarten, wie z.B. KRAS. Hier haben wir in unserer Arbeit wichtige Fortschritte gemacht. KRAS fungiert als zentrales Element einer Reihe von Signaltransduktionswegen, welche an der Regulierung von Wachstum und Differenzierung der Zellen beteiligt sind. Mit seiner herzförmigen Struktur wird es auch „das schlagende Herz des Krebses“ genannt. Die Blockierung von KRAS hat großes Potenzial, von dem viele Krebspatienten profitieren könnten. Ansätze zu entwickeln, die sich gegen dieses zentrale Krebsziel richten, war eine große Herausforderung. Wir sind davon überzeugt, dass die gleichzeitige Blockierung mehrerer KRAS-Mutationen eine sehr interessante Strategie zur Bekämpfung von Krebsarten ist, die durch KRAS-Treibermutationen ausgelöst werden. Wir arbeiten daher an intelligenten Kombinationsansätzen, die sich gegen KRAS richten und schauen uns die zugrunde liegenden Signalwege ganz genau an. Wir versuchen zu entschlüsseln, wie die Anpassungsmechanismen des Tumors funktionieren, wie der Krebs blockierte Signalwege durch andere ersetzen kann und durch welche Bedingungen neue Mutationen entstehen, durch die erfolgreiche Therapien ihre Wirksamkeit verlieren.

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Die KRAS Proteinstruktur
Quelle: National Cancer Institute (NCI)

Mit dem SOS1::KRAS-Inhibitor BI 1701963 ist uns ein bedeutender Durchbruch gelungen. Er hemmt KRAS durch Bindung an SOS1, das eine zentrale Rolle bei der Aktivierung von KRAS spielt. Die selektive Hemmung von SOS1 ist ein Therapiekonzept, das eine KRAS-Blockade unabhängig vom KRAS-Mutationstyp ermöglichen könnte. Es hat sich in Modellen gezeigt, dass bei KRAS getriebenen Krebsarten die Kombination eines SOS1-Inhibitors mit einem MEK-Inhibitor eine umfassendere Blockade des KRAS-Signalwegs und damit eine dauerhafte Tumorrückbildung bewirkt. Daher untersuchen wir derzeit BI 1701963 als Monotherapie und in Kombination mit dem MEK-Inhibitor Trametinib in Phase-1-Studien bei Patienten mit KRAS-Mutation-positiven soliden Tumoren. Für 2021 planen wir klinische Studien mit unserem eigenen MEK-Inhibitor BI 3011441 in Kombination mit BI 1701963. Zusammen mit Mirati Therapeutics erforschen wir derzeit BI 1701963 in Verbindung mit MRTX849 – einem selektiven KRAS-G12C-Inhibitor. Präklinische Daten deuten darauf hin, dass die Kombination eines KRAS G12C-Inhibitors mit einem SOS1::pan-KRAS-Inhibitor aufgrund ihrer komplementären Mechanismen zu einer erhöhten Anti-Tumor-Wirkung führen könnte.

Darüber hinaus hat die Kombination eines KRAS-Inhibitors mit immunonkologischen Wirkstoffen ein sehr hohes Potenzial. Die Dauer des Ansprechens auf die Behandlung kann durch die Kombination erhöht werden, da wir „kalte Tumore“, wie z.B. bei Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs, gezielt in „heiße“ umwandeln, sodass sie für die Immuntherapie empfänglich sind. Wir erforschen zudem einen vielversprechenden Impfstoff gegen KRAS, der das Potenzial für die Kombination mit kleinmolekularen KRAS-Inhibitoren hat. Bei Patienten mit KRAS-getriebenen Tumoren könnte das die langfristige immunvermittelte Kontrolle des Tumorwachstums verstärken. Wir verfolgen weitere potenzielle Kombinationsmöglichkeiten, indem wir den Einfluss von KRAS-Inhibitoren auf Tumor-, Stroma- und Immunzellen untersuchen.

Wnt/Beta-Catenin

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Eine fälschliche Aktivierung des Wnt/beta-Catenin-Signalwegs ist eine weitere  Ursache für Entstehung und Fortschreiten verschiedener Krebsarten. Bei fast allen kolorektalen Karzinomen ist Beta-Catenin mutiert oder der vorgeschaltete Regulator APC inaktiviert. Auch hilft es den Krebszellen sich dem Immunsystem zu entziehen, d.h. auch der Immunaktivierung durch immunonkologische Therapien. Das Potenzial für zukünftige Therapieansätze besteht darin, dass die Hemmung der Wnt/beta-Catenin-Signalübertragung das Wachstum der Krebszellen direkt beeinträchtigt und gleichzeitig die Krebszellen anfälliger für immunonkologische Medikamente machen könnte. Unser Team nimmt eine führende Rolle bei der Erforschung des ersten potenten Inhibitors, der auf einen der kritischen Knoten des Wnt/beta-Catenin-Signalwegs abzielt, ein. Der LRP5/6-Antagonist BI 905677 wurde auf Basis unserer umfassenden Kenntnisse des Wnt/beta-Catenin-Weges entwickelt. Die Kombination eines LRP5/6-Hemmers mit immunonkologischen Medikamenten ist äußerst spannend, da hier ein Signalweg angesteuert wird, der eine einschlägige Wirkung auf die Krebszelle hat und gleichzeitig das Immunsystem dabei unterstützt, „kalte Tumore“ in „heiße“ umzuwandeln. Das könnte für ein breites Spektrum von Krebsarten wichtig sein, bei denen der Wnt/beta-Catenin-Signalweg aktiv ist und das Immunsystem daran hindert zu funktionieren.

Unser Antrieb: wirksame Therapien für Millionen Krebspatienten

Unsere Strategie zur Entwicklung intelligenter Kombinationen für die Krebstherapie trägt Früchte. Mehrere innovative Ansätze befinden sich bereits in klinischen Studien. Wir haben das Ziel, das Leben von Millionen Krebspatienten zu verändern, für die es bisher noch keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten gibt. Daher werden wir nicht müde, weiter in die Komplexität der Krebserkrankungen einzutauchen, diese zu verstehen und neue, intelligente Kombinationen zu entwickeln, die für die Patienten von größtmöglichem Nutzen sind.

 

 

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